31.10.2009, 21:04
Zitat:Original von Jakow Salmanowitsch SusmanKann ich gerne machen.
Vielleicht kann der Lenin mir ja bei meiner kleinen Wissenslücke bzgl. der Integration der Kleinbauern in die Sowjets etwas erzählen...
Zunächst einmal muss ich zu dem Begriff "Mehrheitsrevolution", den du hier gebracht hast, etwas sagen. Die Bolschewiki hatten niemals die Absicht mit einer Mehrheit hinter sich einen Aufstand zu beginnen. Die Mehrheit musste im Sturm der Ereignisse erobert werden. Wie Rosa Luxemburg bereits in ihrer Schrift "Zur russischen Revolution" gut erkannte, konzentrierte sich die Agitation der Bolschewiki auf die dynamischsten, revolutionärsten Schichten der Arbeiterklasse Russlands, d.h. auf die Metallarbeiter, die schon immer in der Arbeiterbewegung eine avantgardistische Rolle einnahmen. Mit den Metallarbeitern gemeinsam wollte man den Aufstand von den großen Metropolen und Industriezentren aus entfesseln, anders als die Maoisten, die der Bauernschaft eine (wenn nicht gar die führende) revolutionäre Rolle zusprechen und eine Belagerung der Städte vom Lande aus als einzige revolutionäre Strategie für agrarisch geprägte Länder ansehen. Es ist natürlich Unsinn zu glauben, dass man vom Lande aus die Städte belagern und so eine Revolution durchführen kann, zumal selbst der revolutionäre Charakter der Bauernschaft sehr fragwürdig ist. Seit der Geburt des Kapitalismus ist das Machtzentrum vom Lande in die Städte verlagert worden. Wer die Städte beherrscht, kontrolliert die Distributions-, Produktions- und Repressionsmittel (v.a. den Staatsapparat). Trotzki hatte ganz gut erkannt, dass das Kleinbürgertum (wozu man auch die Bauernschaft einordnen kann) nie in der Lage war erfolgreich eine Revolution durchzuführen und dass sie auch nie im Stande war selbstständig, ohne durch irgendeine Klasse oder Clique geführt zu werden, sich in Bewegung zu setzen.
Das galt sowohl in der Zeit der Französischen Revolution (1789), in der Zeit der russischen Revolutionen (1905, 1917) als auch in der Zeit des Nationalsozialismus. Während im ersten Beispiel die Bourgeoisie (meinetwegen auch Bürgertum) das Kleinbürgertum antrieb und im zweiten Beispiel das Proletariat, wurde das Kleinbürgertum 1933 von einem individuellen Führer und keiner Klasse angeführt. Man muss also davon ausgehen, dass das Kleinbürgertum unter den Bedingungen einer sozialen Krise einen Führer sucht (sei es nun ein kollektiver (d.h. eine Klasse) oder ein individueller) und somit die labilste soziale Klasse darstellt.
Die Frage, ob eine Revolution, die sich nur auf eine Schicht der Arbeiter stützt, einen Umsturz legitimiert, wurde sowohl von den Bolschewiki, als auch von Rosa Luxemburg gestellt. Rosa Luxemburg sagte dazu, dass man nicht durch die Mehrheit zur revolutionären Strategie, sondern durch die revolutionäre Strategie zur Mehrheit gelangen wird. D.h. man solle nicht erst losschlagen, wenn man sich der Mehrheit sicher ist, sondern sicher sein, dass man mit dem entfesseln eines revolutionären Aufstandes die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung bekommen wird. Was auch tatsächlich der Fall war. Nachdem die Bolschewiki den Oktoberaufstand entfesselten und die landwirtschaftlich genutzten Flächen zu Gunsten der verarmten Kleinbauern umverteilten, erhielten sie ihre vollste Unterstützung, während der Großteil der Bauernschaft vor dem Oktoberaufstand hinter den Sozialrevolutionären stand, die auf der politischen Bühne traditionellerweise die Interessen der Bauern vertraten.
Ein weiteres Faktum ist ebenfalls wichtig bei der Betrachtung der Rolle der Kleinbauern während der russischen Revolutionen von 1917.
Nach der Februarrevolution von 1917 traten (wie in Deutschland 1918) sowohl politische Kräfte auf die Bühne, die einen Parlamentarismus aufbauen wollten, als auch Kräfte die ein Sowjetsystem aufbauen wollten. Beide Systeme existierten eine Weile lang nebeneinander. Wobei man sagen muss, dass das parlamentarische System (wie es seiner Natur nach üblich ist) der breiten Massen der Gesellschaft keine Mitbestimmungsmöglichkeiten bot, während das Sowjetsystem von Arbeitern, Bauern und Soldaten dominiert wurde. Sie waren vielen Menschen bereits aus dem Jahr 1905 bekannt, als sie sowohl in den ländlich-agrarisch geprägten Regionen (Ukraine, Südrussland), als auch in den Städten erstmals spontan gebildet wurden und die werktätigen Massen sich somit selbst ihre ureigenen Entscheidungsapparate schufen. Sowjets wurden also weder 1905, noch 1917 lediglich in Petrograd und Moskau gebildet, sondern auch in vielen hunderten, tausenden von Dörfern - in denen allerdings in der Zeit zwischen Februar und August 1917 meist die Sozialrevolutionäre den Ton angaben.
Ich hoffe, dass ich dir deine Frage beantworten konnte.